Kings Ransom cover finalClive Nolan hatte sich nach seinem Musical ‚Alchemy‘ geschworen, nie wieder werde er sich zwei Jahre in sein Studio verkriechen und ein weiteres Prog Musical schreiben. Und dennoch, er hat es wieder getan. Sogar drei Jahre hat es diesmal gedauert mit Schreiben, Orchestrieren, Aufnehmen und Mastern im Thin Ice Studio, welches ihm zusammen mit Karl Groom gehört. Im September ist das Ergebnis seiner Arbeit nun als Deluxe Box erschienen, mit den CDs Akt 1 und Akt 2 des Musicals einer CD mit Raritäten, Demos und unveröffentlichtem Material, sowie einer ‚Making of‘ - DVD, auf der Clive den Entstehungsprozess dokumentiert. Clive spielt hier alle Keyboards und wird unterstützt von Mark Westwood (Shadowland) an der Gitarre, Kylan Amos (Arena) am Bass, Scott Higham (ex Pendragon) am Schlagzeug, dem Gründer von Caamora Norwegen Morten L. Clason (Flöte), Penny Gee (Violine) und Alaster Bentley (Oboe). Der Chor, bestehend aus über 30 Stimmen, sorgt für die bombastischen Momente.

Mit ‘King's Ransom’ liegt nun eine direkte Fortsetzung von Alchemy vor, das mit den Worten ‘Vielleicht ist die Geschichte doch noch nicht zu Ende’, seinen Abschluss fand. Wir erinnern uns: Der Alchemist Thomas Anzeray hatte Professor Samuel King befohlen die mystischen Artefakte den Flammen zu übereignen, bevor er wieder ins Totenreich verschwand. Allen voran das Tagebuch, welches unter keinen Umständen weiter existieren dürfe. Doch bevor es vom Feuer vernichtet werden konnte, hatte es King heimlich wieder an sich genommen und war gegangen.

‚King’s Ransom’ spielt zwei Jahre nach ‘Alchemy’ im ‚Underground‘ des viktorianischen London. In der Zwischenzeit hat Professor King das Anzeray-Journal studiert und wichtige Erkenntnisse gewonnen, die es umzusetzen gilt.
Selbst wer ‘Alchemy’ gar nicht kennt, kann leicht in die Story eintauchen, weil sich sowohl immer wieder musikalische, als auch inhaltliche Querverweise zum Vorgänger und selbst zu Clives Band Shadowland finden lassen. Auch hier geht es wieder um Leben und Tod, Betrug und Verrat, zarte Liebeleien und große Gefühle. Die ganze Story zu erzählen, würde zu weit führen, kann aber in der von Christine Piontek verfassten originalgetreuen Übersetzung der Synopsis hier nachgelesen werden:

http://www.kingsransomthemusical.com/index.php/synopsis/deutsch

Mehr noch: In allen Bühnenwerken Clives ist das Verständnis der Texte unabdingbar, erstens um der Handlung zu folgen, zweitens um seine auf den Punkt gebrachte Poesie zu erfassen. Man sollte sich deshalb beim Hören die deutsche Übersetzung aller Songs und Dialoge zur Hand nehmen und Zeile für Zeile nachlesen. Mit Christines Hilfe habe ich versucht das komplette Stück zu übersetzen und dank der unermüdlichen Arbeit von Klaus Teuchert wurde es anschließend so gut es ging in ein vernünftig zu lesendes Deutsch übertragen. Interessenten können die deutschen Lyrics unter http://www.kingsransomthemusical.com/index.php/synopsis/deutsch/textbuch nachlesen.

Christine, selbst Teil der Caamora Theatre Company, ist bemüht Clives Musicals im deutschsprachigen Raum einem größeren Publikum nahezubringen, ein Vorhaben welches auch mein Anliegen ist und was ich gerne unterstütze, weshalb ich ihren Blogbeitrag zum Thema den Empire Lesern ebenfalls nahelegen möchte:

https://christine-piontek.de/die-steampunk-musicals-von-clive-nolan/

In Kings Ransom versteht es Clive mehr denn je und perfekter als jeder anderer ‘Keyboard Wizard’, seinem Instrumentarium die Sounds klassischer Orchesterinstrumente zu entlocken. Dabei ist seine Orchestrierung weit mehr als nur synthetische Streicher und Holzbläser auf polyphonen Synthesizern zu erzeugen. Für manche klassischen Instrumente wurden auch subtile Soloeinlagen geschrieben und der gravierende Unterschied zur Klassik an sich besteht darin, dass es sich hier zwar weitgehend um Orchesterarrangements, jedoch mit fulminanter Gitarre und Rock Schlagzeug handelt. Scottys dezentes aber immer songdienliches und der jeweiligen Stimmung angepasstes Spiel verleiht den Songs einen ganz besonderen Ausdruck und grenzt von der reinen Klassik ab. Teilweise werden mystische oder gar gespenstische Klangmalereien erzeugt, wie sie allenfalls in Jeff Waynes ‘War Of The Worlds’ vorkamen, obwohl die Handlung hier eine gänzlich andere ist.

 

Ger rev 1

 

Die drei Hauptpersonen sind jene, die nach dem dramatischen Ende von ‘Alchemy’ am Leben geblieben waren: Professor King, Eva und William. Die beiden letzten Rollen wurden mit neuen Stimmen besetzt, da sowohl Victoria Bolley als auch David Clifford nicht mehr zur Verfügung standen. Eva wird fortan von der fantastischen Sopranistin Gemma Ashley gesungen und William wird sehr überzeugend vom bislang noch nicht in Erscheinung getretenen Guy Barnes gespielt. Als Einziger aus der ‘Alchemy’ Studio CD-Besetzung übrig gebliebener Sänger, ist Chris Lewis wieder mit von der Partie, der mit seiner überirdischen … äh, diesmal eher ‘unterirdischen’ Stimme Edwin Deeks, den Anführer der Londoner Unterwelt spielt.

Wer allerdings die Live - Aufführungen von ‘She’ und ‘Alchemy’ kennt, wird auf der CD-Version von ‚King‘s Ransom‘ wieder auf einige bekannte Namen stoßen. Christina Booth, die Stimme von Magenta und sonst immer die ‘Gute’, spielt hier die Rolle der Verräterin Helena und überzeugt im Duett mit Verity White mit großartigen Gesangsleistungen in der ‘Legende von der Einhorn-Orchidee’, einer magischen Pflanze, die eine tragende Rolle spielt. Ebenso brilliert sie in den Songs ‘Eyes Of The Basilisk’, dem Höhepunkt und Finale von Akt 1, sowie in ‘The Future Will Be Ours’, bevor sie entlarvt und außer Gefecht gesetzt wird.

Als eine weitere gut bekannte Stimme liefert Ex-Pallas Sänger Alan Reed als Geist von Captain Maunder mit ‘Death By Misadventure’ ebenfalls ein grandioses Kabinettstückchen ab. Einfach herzerfrischend und zusammen mit Songs wie ‘Nostalgia’, in dem seine Geisterkollegen der Vergangenheit nachhängen, eine lustige Einlage im ansonsten oftmals düsteren Thema.

Über weite Strecken ist ‘King's Ransom’ nahezu klassisch symphonisch, mit einigen echten ‚Arien‘. Hier möchte ich ganz besonders ‘Solitary Man’ hervorheben, ähnlich ergreifend wie seinerzeit ‘Share This Dream’ und von der fantastischen Stimme Gemma Ashleys gesungen. Clive beweist hier erneut seine Fähigkeit, klassisches Material zu komponieren und braucht den Vergleich mit den Altmeistern des Genres wahrlich nicht zu scheuen.

 

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Ein ähnliches Meisterstück ist die ‘Rock’-Arie ‘Defiant’ mit krachender Gitarre und donnernden Double Bass Drums, in der sich Evas gesamte Wut gegen ihre Geiselnehmer entlädt. Gemma Ashley legt hier eine bravouröse Leistung hin, mit der sie ihrer Vorgängerin durchaus das Wasser reichen kann. Wer sich selbst davon überzeugen will:
Auf der Bonus-CD gibt es einen direkten Vergleich. Eine Demoversion des Songs lässt erahnen, wie er geklungen hätte, wenn die Rolle der Eva weiterhin mit Victoria Bolley besetzt worden wäre.

Besondere Erwähnung verdienen auch Robbie Gardner und seine äußerst unterhaltsame Interpretation des Geisterbeschwörers Tom Worthy sowie Verity White als Doktor Josephine Kendrick, die ebenfalls in Songs wie ‘In The Palm Of My Hand’ oder ‘Dare To Be So Happy’ großartige Stimmleistungen und emotionale Ausstrahlung präsentiert.

Durch eine überraschende Wendung in der Schlussszene bleibt die Handlung nach wie vor unvollendet und lässt auf eine Fortsetzung hoffen, die dann aller Voraussicht nach im Milieu der transsilvanischen Vampire angesiedelt ist. Doch bis dahin bleibt ‘King's Ransom’ mit Sicherheit das größte Bühnenwerk das bisher aus Clive Nolans Feder kam. Es steht als ein beeindruckendes Zeugnis der grandiosen Schaffenskraft des Komponisten, der für literarische, kompositorische, instrumentale und vokale Fähigkeiten gelobt werden muss. Das Boxset kann ihn stolz machen, und ich bin sicher, ‘King's Ransom’ ist ein Meisterwerk, das den Freunden guter genreübergreifender Musik stundenlange musikalische Freude und Wohlbehagen bringen wird. Wem ‚Alchemy‘ gefallen hat, für den ist es ein Pflichtkauf, doch selbst wer ‚Alchemy‘ nicht kennt aber Musicals wie ‚Jekyll und Hyde‘ oder ‚Tanz der Vampire‘ mag, der wird sich auch hier wiederfinden und kann sich auf meine absolute Kaufempfehlung verlassen.

 

Review by Udo Eckardt (EMPIRE, Germany)
Photos by Graham Stead